Offener Brief an Ulrich Schlür und Toni Brunner bezüglich ihres Demokrativerständnisses

Lieber Herr Schlür, lieber Herr Brunner,

Ich schreibe Ihnen, da ich fürchte, dass mir mit der Gewöhnung das Entsetzen darüber abhanden kommen könnte, mit welcher Selbstverständlichkeit Sie und Ihre Partei zum wiederholten Male zentrale rechtstaatlichen Normen der Schweiz nicht nur in Frage stellen, sondern direkt angreifen, wenn Sie behaupten, dass jegliche durch den Volksentscheid beschlossene Gesetzesänderung ohne Wenn und Aber umgesetzt werden müsse. Ich halte ihren Standpunkt für höchst problematisch, da Sie damit die rechtlichen Grundlagen der Demokratie und der bürgerlichen Freiheit aushöhlen.
Dass an Ihrer Argumentation, das Volk habe in politischen Entscheidungsprozessen immer das letzte Wort (um nicht zu sagen Recht), etwas faul ist, lässt sich meines Erachtens an einem sehr einfachen Gedankenexperiment illustrieren. Angenommen einige SchweizerInnen wären des Demokratieverständnisses ihrer Partei und deren Wählerschaft überdrüssig, da sie es für unreif hielten, so wäre es gemäss der von Ihnen propagierten Logik ein Leichtes, einen Verfassungsartikel vorzuschlagen, der alle WählerInnen der SVP ausbürgert. Da rechtliche Bedenken keinerlei massgebliche Rolle spielten und wir ja schon Erfahrung damit haben, über verfassungswidrige Verfassungsartikel abzustimmen, könnte eine solche Initiative problemlos zur Abstimmung gelangen. Sollte sich nun im Volk aufgrund dessen unergründlichen Ratschlusses eine Mehrheit für diese Bestimmung ergeben, fänden Sie und weite Teile der schweizer Bevölkerung sich in der ungemütlichen Lage wieder, nicht mehr am politischen Geschehen teilnehmen zu dürfen; was zumindest meinem Verständnis von Demokratie widersprechen würde. Natürlich könnten Sie dann noch internationale Gerichtsinstanzen anrufen, um diesen Entscheid rückgängig zu machen, aber ich brauche Ihnen nicht zu auszuführen, wie Ihre GegnerInnen dieses Problem umschiffen würden.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen anhand dieses fiktiven Beispiels deutlich gemacht haben, dass eine Demokratie mehr ist als der Entscheid der Mehrheit, da sie auf bestimmten rechtlichen Grundlagen aufbaut, die sie überhaupt erst ermöglichen und ohne deren Einhaltung sie nicht länger als Demokratie bezeichnet werden kann. Ich halte die Hypostasierung und Idealisierung des Volkes zu einer unhinterfragbaren Letztinstanz, wie sie insbesondere von Ihrer Partei betrieben wird, daher für äusserst demokratieschädlich. Leider bin ich zu der Befürchtung veranlasst, dass Sie sich über die von mir angesprochene Problematik bestens im Klaren sind, da ich nicht der erste bin, der sie thematisiert. Es bleibt mir jedoch nichts anderes übrig, als mich in der Hoffnung an Sie zu wenden, dass Sie sich meinen Bedenken zugänglich zeigen.

Mit freundlichen Grüssen – imre hofmann

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